Von München nach Rom
DT vom 27.08.2016, Nr. 102, S. 6 von Michael Karger
Erinnerungen von Ratzingers Sekretär an die Münchner Jahre nach der Bischofsweihe und die Anfänge in Rom.
In seiner Autobiographie schweigt Papst Benedikt XVI. über seine Zeit als Erzbischof von München und Freising. Die vom damaligen Kurienkardinal veröffentlichten Erinnerungen „Aus meinem Leben” brechen mit der Bischofsweihe 1977 ab. Darum greift man mit Interesse nach den Erinnerungen von Monsignore Bruno Fink, der als Sekretär des Erzbischofs von München und Freising Ratzingers Zeit als Diözesanbischof und auch seinen Wechsel nach Rom in das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation begleitet hat. Bruno Fink wurde 1947 in Ottobeuren geboren. Sein Theologiestudium absolvierte er als Alumne des Collegium Germanicum in Rom und empfing die Priesterweihe 1972. Nach mehreren Kaplansstellen in München wurde Fink 1978 Sekretär von Kardinal Ratzinger.
In seiner Autobiographie schweigt Papst Benedikt XVI. über seine Zeit als Erzbischof von München und Freising. Die vom damaligen Kurienkardinal veröffentlichten Erinnerungen „Aus meinem Leben” brechen mit der Bischofsweihe 1977 ab. Darum greift man mit Interesse nach den Erinnerungen von Monsignore Bruno Fink, der als Sekretär des Erzbischofs von München und Freising Ratzingers Zeit als Diözesanbischof und auch seinen Wechsel nach Rom in das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation begleitet hat. Bruno Fink wurde 1947 in Ottobeuren geboren. Sein Theologiestudium absolvierte er als Alumne des Collegium Germanicum in Rom und empfing die Priesterweihe 1972. Nach mehreren Kaplansstellen in München wurde Fink 1978 Sekretär von Kardinal Ratzinger.
Detailliert schildert Fink die Routinearbeit im Erzbischöflichen Palais in München und nennt die damaligen Mitarbeiter des Kardinals. Zum Haushalt gehörte auch die Schwester des neuen Erzbischofs, Maria Ratzinger. Zu den Verpflichtungen des Kardinals gehörte in den ersten Jahren auch noch die Betreuung von Doktoranden und Habilitanden aus seiner Regensburger Lehrtätigkeit. Ferienreisen machte der Kardinal im August immer gemeinsam mit den Geschwistern Georg und Maria. Stets arbeitete Ratzinger auch in den Ferien an Manuskripten. Die zweite Augusthälfte war dann ganz der Arbeit im Studierzimmer im Eigenheim in Pentling gewidmet. Nach der Silvesterpredigt fuhr der Kardinal mit den Geschwistern nach Traunstein, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatten. In der ersten Februarhälfte war Ratzinger ebenfalls regelmäßig zu einem Arbeitsaufenthalt in Pentling. In der Woche nach Pfingsten ging er, häufig im Kloster Scheyern, in Exerzitien. Ein jährliches Doktorandentreffen fand meist in Regensburg statt. Während des Sommerurlaubs traf der Erzbischof sich mit seinem Schülerkreis, bestehend aus um die dreißig ehemaligen Studenten aus verschiedenen Ländern. Als Gründungsmitglied und Mitherausgeber nahm Ratzinger regelmäßig an der Herausgeberkonferenz der Internationalen katholischen Zeitschrift „Communio“ unter der Leitung von Hans Urs von Balthasar teil.
Zur Arbeitsweise des Kardinals schreibt Fink: „Alle Texte, die er ausarbeitete, notierte er in Stenografie in eines seiner dicken Schreibhefte“, alles, was er auf Tonband diktierte, war „im Grunde druckreif und brauchte keinerlei Korrekturen“.
Ein Eingreifen des Kardinals in eine Lehrstuhlbesetzung an der Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München führte zu einer heftigen Attacke von Karl Rahner. Dies geschah, als der Kardinal 1979 den auf der Berufungsliste erstplatzierten Johann Baptist Metz als Nachfolger des Fundamentaltheologen Heinrich Fries verhindert hatte. Ratzinger hatte die Universität Münster auch darum verlassen, weil er einer unausweichlichen Kontroverse mit der politischen Theologie seines Kollegen Metz entgehen wollte. Nun hätte er sich die Politisierung der eigenen Theologischen Fakultät eingehandelt. Fink schreibt dazu: Ratzinger habe Kultusminister Hans Maier wissen lassen, dass er „Professor Metz im Falle einer Berufung das ,Nihil obstat‘ verweigern werde“. So kam es, dass schließlich Heinrich Döring berufen wurde.
Wohl die massivsten innerkirchlichen wie außerkirchlichen Anfeindungen erfuhren die deutschen Bischöfe und auch Kardinal Ratzinger in seiner Münchener Amtszeit nach der Feststellung von Papst Johannes Paul II., dass der Theologe Hans Küng in wesentlichen Punkten von der Lehre der Kirche abweiche, was den Entzug der Missio canonica durch den Bischof von Rottenburg-Stuttgart zur Folge hatte. Was man bei Fink zu Küng erfährt ist Folgendes: Am 19. November 1979 fand in Freising das jährliche Korbiniansfest der Jugend statt; im städtischen Asamsaal wurde nach dem Gottesdienst eine Fragestunde mit dem Kardinal angeboten. Von einer Theologiestudentin wurde Ratzinger dort gefragt, was von dem Gerücht zu halten sei, dass dem Tübinger Theologen Hans Küng die Lehrbefugnis entzogen werden solle. Dazu Fink: „Er wusste, dass die ,Akte Küng‘ in der römischen Glaubenskongregation praktisch abgeschlossen war und der Lehrentzug demnächst vollzogen werden sollte.“ Der Kardinal antwortete: „Man könne bei der Lektüre der Veröffentlichungen seines Kollegen eindeutig feststellen, dass Hans Küng in verschiedenen Dingen nicht oder nicht mehr die Lehre der katholischen Kirche vertritt.“ Nach der Weitergabe dieser Aussagen durch den Pressesprecher der Ordinariats „brach ein gewaltiger Proteststurm aus … und viele mutmaßten, dass Kardinal Ratzinger jener sei, der den Sturz seines früheren Kollegen vorantrieb“.
Nicht zutreffend ist die Aussage von Fink: „Bekanntermaßen erhielt Hans Küng einige Zeit später einen Gastlehrstuhl für ökumenische Theologie im Bereich der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen.“ Hans Küng war ab 1980 fakultätsunabhängiger Professor für ökumenische Theologie und Direktor des Instituts für ökumenische Forschung an der Universität Tübingen und direkt dem Universitätspräsidenten unterstellt.
Fink erwähnt noch die hartnäckigen Bemühungen des aus Regensburg stammenden Mitarbeiters des vatikanischen Staatssekretariates Monsignore Wolfgang Habbel um eine Rehabilitierung von Hans Küng. Diese haben wohl dazu beigetragen, dass Ratzinger im Frühjahr 1883 seinen Sekretär bei Küng anrufen und einen Gesprächstermin vereinbaren ließ. Daraufhin fand im Sommer 1983 ein ergebnisloses „Geheimtreffen“ in Bad Adelholzen im Chiemgau, dem Ferienort des Kardinals statt. Auch dies ist nicht neu, sondern wurde bereits von Hans Küng in seiner Autobiographie detailgenau mitgeteilt. Als Quelle für das Erdbeben der Kirche in Deutschland, das der Fall Küng hervorgerufen hat, sind die Erinnerungen von Fink wenig ergiebig. Es fehlen entscheidende Vorgänge, die Fink in München unmittelbar miterlebt haben muss.
Auf die Beziehung zwischen Kardinal Ratzinger und Papst Johannes Paul II. geht der Verfasser näher ein. Vor dem Konklave hat es keine persönliche Begegnung mit Kardinal Wojtyla gegeben. Von der Teilnahme von Kardinal Ratzinger an der triumphalen Polenreise des Papstes im Juni 1979 habe der Papst selbst nichts mitbekommen. Fink erfuhr vom beabsichtigten Wechsel seines Chefs erst am 5. Oktober 1981, als er mit dem Kardinal in Rom beim Synodenrat war. Obwohl Fink erklärtermaßen den italienischen Lebensstil nicht mochte, ging er auf Bitten von Kardinal Ratzinger mit nach Rom. Einiges erfährt man über die Arbeitsabläufe der Glaubenskongregation. Die Aufgabe an der Kurie habe Ratzinger nach Einschätzung von Fink „mehr entsprochen als die Arbeit und Verantwortung in der Leitung einer großen deutschen Diözese wie München“, da sie mehr theologisch-wissenschaftlich war und mehr Zeit für eigene theologische Ausarbeitungen ließ: „Selbst in den Anfangsmonaten, als alle Arbeit noch etwas ungewohnt war, konnte ich deutlich wahrnehmen, wie diese ,Bündelung theologischer Fachdiskussionen‘ Kardinal Ratzinger anspornte und begeisterte.“ Leider wird das Thema Befreiungstheologie nur in einen Satz gefasst: „Eine Stellungnahme des Papstes und seiner theologischen wie pastoralen Berater wurde in jenen Jahren dringend gesucht.“
Die Konflikte der Amtszeit weitgehend ausgeblendet
Kein Wort über das Zusammenspiel von Vorträgen, Aufsätzen, Interviews und offiziellen Stellungnahmen, das der Präfekt Ratzinger in einmaliger Weise beherrschte. Genannt wird nur der Vortrag in der Kathedrale Notre-Dame und in der Kathedrale von Lyon auf Einladung des Kardinals von Paris Jean-Marie Lustiger im Frühjahr 1983, der, unter dem Titel „Die Krise der Katechese und ihre Überwindung“ veröffentlicht, großes Aufsehen erregte.
Bereits im Juni 1982 hatte Fink den Entschluss gefasst, wieder in die Pfarrseelsorge in seinem Heimatbistum zurückkehren zu wollen. Seine Motive umschreibt es so: „Ich musste an meinem Arbeitsplatz in Rom bald erkennen, dass ich die hohen Anforderungen an theologischem und kirchenrechtlichem Fachwissen, die für den Aufgabenbereich der Glaubenskongregation notwendig sind, nicht erfüllen konnte.“ Der Kardinal hatte Fink vorgeschlagen, in Rom das Lizentiat im Fach Kirchenrecht zu erwerben und anschließend zu promovieren.
Als der Kardinal konkrete Schritte in diese Richtung unternehmen wollte, reichte Fink im Juni 1982 schriftlich die Bitte um Entlassung ein. Es habe „nur einen einzigen leisen Versuch des Kardinals, mich umzustimmen“, gegeben.
Einige Privatfotos beschließen den Band. Da auf die konfliktreichen Münchener Bischofsjahre nicht näher eingegangen wird, Charakterisierungen von Personen sich kaum finden und vom Prediger, Redner und Autor Kardinal Ratzinger kaum die Rede ist, bleibt der Quellenwert der Memoiren begrenzt. Freilich eröffnen sie interessante Einblicke in den Weg von Joseph Ratzinger über seinen Dienst als Diözesanbischof in das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation.
Bruno Fink: Zwischen Schreibmaschine und Pileolus. Erinnerungen an meine Zeit als Sekretär des Hochwürdigsten Herrn Joseph Kardinal Ratzinger. (Monographische Beiträge zu den Mitteilungen Bd. 3, herausgegeben von Rudolf Voderholzer, Christian Schaller, Franz-Xaver Heibl. Institut Papst Benedikt XVI.), Verlag Schnell & Steiner Regensburg 2016, 116 Seiten, ISBN 978-3-7954-3188-6, € 19,95