Forschen mit Blick auf die Peterskuppel
DT vom 19.11.2015, Nr. 138, S. 10 von Johannes Schidelko
Im Vatikan entsteht eine neue Benedikt-XVI.-Bibliothek.
Kein Papst der Neuzeit hat ein so umfangreiches und bedeutendes theologisches Werk vorgelegt wie Benedikt XVI. In einer neuen Bibliothek neben dem Petersdom kann es jetzt systematisch erforscht werden.
An Bibliotheken über Theologie und Kirche mangelt es in Rom sicher nicht. Alle Päpstlichen Universitäten, kirchlichen Fakultäten und Institute haben ihre Büchersammlungen, ebenso die vielen nationalen Kollegien und Seminare. Am Mittwoch kam eine neue hinzu: die „Römische Bibliothek Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.“ in den Räumlichkeiten am Campo Santo Teutonico unmittelbar neben dem Petersdom. Ihr Anliegen und Profil: möglichst vollständig die Veröffentlichungen von und über Joseph Ratzinger aus seiner Zeit als Theologieprofessor, Diözesanbischof, Kurienkardinal und als Papst zusammenzutragen.
Und das ist enorm bei dem Professoren-Papst, der 52 Jahre lang wissenschaftlich publizierte: Von 1953 bis 1977 als Dozent in Freising, Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg, dann aber auch als Erzbischof von München und Freising (1977–1981), als Kurienkardinal und von 2005 bis 2013 als Papst. Das Verzeichnis seiner Veröffentlichungen umfasst 135 Bücher, die in bis zu 37 Sprachen übersetzt wurden; hinzu kommen 1 375 Aufsätze. Zusammen mit den Monographien und Aufsätzen über ihn dürfte man auf rund 2 000 Titel kommen, so der verantwortliche Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, Stefan Heid.
Die neue Bibliothek ist Sonderbestand der bereits bestehenden Gemeinschaftsbibliothek der Görres-Gesellschaft, des deutschsprachigen Priesterkollegs am Campo Santo und der „Vatikanischen Stiftung Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.“. Sie ist auf Kirchen- und Papstgeschichte spezialisiert und erfährt durch die neue Sammlung eine sinnvolle Erweiterung. Zielgruppe sind Wissenschaftler und Studierende, die sich mit der Person, der Theologie und dem Pontifikat Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. befassen.
Damit wird die neue Bibliothek eine wichtige Anlaufstelle insbesondere auch für die Studenten des „Augustinianum“, des wenige hundert Meter entfernten Instituts für Patristik. Dieses bietet neuerdings auf Italienisch und Englisch eigene Einführungskurse in die Theologie Ratzingers an, für die europäische Spitzentheologen gewonnen wurden. Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Regensburger „Institut Papst Benedikt XVI.“ vorgesehen, das in seinem Namen mit der Herausgabe des gesamten theologischen Werkes Ratzingers bis zur Papstwahl am 19. April 2005 beauftragt ist. Die Einweihung der neuen Benedikt-Bibliothek nahm der vatikanische Kulturminister Kardinal Gianfranco Ravasi vor. Man habe ihn als langjährigen Präfekten der Mailänder Ambrosiana, einer der renommiertesten Bibliotheken Europas ausgewählt, sagt Heid. Wegen der hohen Zahl der Anmeldungen musste der Festakt aus dem Campo Santo heraus in die Räumlichkeiten des Augustinianums verlegt werden.
Unterdessen ist die neue Bibliothek selbst noch im Aufbau. Rund 1 000 Bände sind bereits zusammengetragen; einen beachtlichen Teil hat der emeritierte Papst gestiftet. Zu den Werken seines Pontifikates gehören die drei Bände „Jesus von Nazareth“, aber auch das Interviewbuch „Licht der Welt“ und natürlich auch die Jahresausgaben mit seinen Predigten und Ansprachen sowie die liturgischen Bücher.
Im Bibliothekstrakt am Campo Santo wurde ein zentraler Eckraum frisch renoviert. An der Wand hängt ein großes Bild von Benedikt XVI. Und den Benutzern bietet sich ein einmaliger Ausblick: Von den Arbeitsplätzen aus blicken sie direkt auf die Kuppel des Petersdoms. Ratzinger selbst wird bei der Eröffnung nicht anwesend sein. Der 88-Jährige bleibt, nur rund 200 Meter entfernt, weiter zurückgezogen in seinem Kloster „Mater ecclesiae“.