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Presseschau - Detail

Den Seelenbegriff erfolgreich rehabilitiert

DT vom 13.06.2013, Nr. 71, S. 7 von Guntram Förster

Gott gibt dem Menschen Ewigkeit: Erfurter Symposion des „Instituts Papst Benedikt XVI.“ befasst sich mit Eschatologie im Werk Joseph Ratzingers. 

 

Erfurt (DT) „Die Eschatologie ist der ,Wetterwinkel‘ in der Theologie unserer Zeit. Von ihr her steigen jene Gewitter auf, die das ganze Land der Theologie fruchtbar bedrohen: verhageln oder erfrischen“ (Hans Urs von Balthasar). Diese Sätze kennzeichnen den neuen Stellenwert, den die „Lehre von den Letzten Dingen“ vor einem guten halben Jahrhundert im Ganzen der Theologie erlangte. Der heute emeritierte Papst Benedikt XVI. hatte als damaliger Theologieprofessor Joseph Ratzinger teil an diesem Aufbruch und prägte Diskurse zu Themen der Eschatologie über Jahrzehnte entscheidend mit.

 

Seit 2012 liegen alle seine Veröffentlichungen zur Eschatologie als Band 10 der „Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften“ unter dem Titel „Auferstehung und Ewiges Leben“ vor. Das mit der Herausgabe seiner Werke betraute Regensburger „Institut Papst Benedikt XVI.“ unter Leitung von Bischof Rudolf Voderholzer nahm das Erscheinen des Bandes zum Anlass, im Rahmen eines Symposions kürzlich ausgewählte Aspekte der Eschatologie und Theologie der Hoffnung im Lebenswerk des emeritierten Papstes zu beleuchten und in die aktuelle theologische Debatte zu stellen. Der Studientag fand in Erfurt in Zusammenarbeit mit der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät statt.

Der Name der thüringischen Landeshauptstadt ist mit Joseph Ratzinger nicht erst durch den kaum zwei Jahre zurückliegenden Deutschlandbesuch Benedikts XVI. verbunden. Bereits in den 1980er Jahren wurde vom damaligen Philosophisch-Theologischen Studium zu Erfurt erstmals ein Doktortitel für eine Arbeit zur Theologie Joseph Ratzingers verliehen. Darauf verwies der Erfurter Alt-Bischof Joachim Wanke nicht ohne Stolz in seinem Begrüßungswort bei der morgendlichen Eucharistiefeier, die er zusammen mit Bischof Voderholzer unmittelbar vor Beginn des Symposions im Mariendom zelebrierte. In der Predigt nahm der Regensburger Bischof Bezug auf den Tagesheiligen, den frühchristlichen Philosophen und Märtyrer Justin, der die Theologie an den Rationalitätsanspruch des christlichen Glaubens erinnere – ein Anliegen, das auch im theologischen Werk Joseph Ratzingers zentral sei.

 

Der Dekan der Erfurter Katholisch-Theologischen Fakultät, Michael Gabel, der mit dem stellvertretenden Direktor des „Instituts Papst Benedikt XVI.“, Christian Schaller, das Symposion souverän moderierte, freute sich besonders, als ersten Referenten den Verfasser der bereits erwähnten, 1986 veröffentlichten Dissertation, Propst Gerhard Nachtwei, begrüßen zu können. Im Zentrum seines Referats stand das Konzept der „dialogischen Unsterblichkeit“, mit dem Joseph Ratzinger seinerzeit eine eigenständige Begründung der überlieferten kirchlichen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele entwickelt hatte. Als Quellen von Ratzingers dialogischem Ansatz konnte Nachtwei die vom heiligen Augustinus inspirierte „communionale Ekklesiologie“ sowie die Trinitätslehre nachweisen. Als aktiver Seelsorger legte Nachtwei Wert darauf, dass zur Aufgabe der dogmatischen Theologie auch die Reflexion auf die Vermittlung in die pastorale Praxis gehöre, wenn sie für die Fragen der Menschen von heute auskunftsfähig bleiben wolle. Dieses Anliegen habe insbesondere auch die Stellungnahmen Ratzingers zur Eschatologie wesentlich geleitet. Auf gegenwärtiges Engagement für Kirche und Welt bezogen, fragte Nachtwei, ob darüber nicht manchmal die Aufgabe in Vergessenheit gerate, „den Himmel offenzuhalten“.

 

Eine grundsätzliche Verhältnisbestimmung von individueller und universaler Eschatologie unternahm der Erfurter Dogmatiker Josef Freitag ausgehend von Paulus (1 Kor 15,12ff.). Paulus spreche von der Auferstehung Christi nur in Verschränkung mit der allgemeinen Auferstehung der Toten. Freitag formulierte als These, dass individuelle und universale Eschatologie einander gegenseitig explizierten.

 

Gegen den Trend, die „Unsterblichkeit der Seele“ als vermeintlich unbiblische Vorstellung aus Theologie und Verkündigung zu eliminieren und durch den Gedanken der „Auferstehung im Tod“ zu ersetzen, war der Theologe Joseph Ratzinger mit aller Entschiedenheit für die Rehabilitierung des Seelenbegriffs eingetreten. Der Augsburger Dogmatiker Thomas Marschler würdigte Ratzingers Stellungnahmen in diesem Streit: Ratzinger habe gezeigt, dass die „Annahme der Fortexistenz des Menschen über den Tod hinaus“ im biblischen Zeugnis impliziert sei und mit dem traditionellen Begriff der „Seele“ das notwendige Identitätsprinzip bezeichnet werde. Im Jahr 1979 wurde die Position Ratzingers durch ein Schreiben der Glaubenskongregation in der Sache lehramtlich bestätigt.

 

Betraf der Disput um die Unsterblichkeit der Seele vor allem die individuelle Eschatologie, so spielte eine zweite große Auseinandersetzung, die von Joseph Ratzinger zunächst als Theologieprofessor und vor allem später als Präfekt der Glaubenskongregation maßgeblich bestimmt wurde, auf dem Gebiet der universalen Eschatologie: der Streit um die (Neue) Politische Theologie und die Theologie der Befreiung.

 

Der emeritierte Frankfurter Systematiker Siegfried Wiedenhofer, langjähriger Assistent Ratzingers, analysierte die systematisch-theologischen Argumente, auf deren Grundlage Ratzinger diese Richtungen im Kontext der nachkonziliaren „Orientierungskontroverse“ einer fundamentalen und radikalen Kritik unterzog. Während sein Urteil in Bezug auf einzelne Theologen oder Theologien durchaus differenziert ausgefallen sei, habe Ratzinger auf prinzipieller Ebene die authentische christliche Hoffnung auf Erlösung durch Gott zugunsten einer Ideologie der „Selbsterlösung durch politische Praxis“ infrage gestellt gesehen. Mit dieser „Hermeneutik des Verdachts“ habe Ratzinger reale Gefährdungen aufgedeckt und angesichts tatsächlicher Vermischungstendenzen zu Recht die Unterscheidung von Glaube und Politik eingefordert. Allerdings drohe diese notwendige Unterscheidung „ungewollt zu einer ,Trennung‘ radikalisiert zu werden“. Die Weltverantwortung des Glaubens stehe dabei völlig außer Zweifel. Doch ist nach Joseph Ratzinger die Relevanz der Reich-Gottes-Botschaft für die Politik nicht Thema der Eschatologie, sondern der politischen Ethik. Aus diesem Ansatz könne jedoch – so Wiedenhofer, indem er in ein kritisches Gespräch mit seinem Lehrer eintrat – eine Art (der lutherischen nicht unähnliche) „Zwei-Reiche-Lehre“ gefolgert werden, die die Einheit der gläubigen Existenz zu zerreißen drohe. Wiedenhofer plädierte dafür, den weiteren Sakramentsbegriff (der beispielsweise in der Ekklesiologie die Rede von der Kirche als „Heilssakrament Gottes für die Welt“ begründet) auch für die Eschatologie fruchtbar zu machen – so könnten „innerweltliche Heilserfahrungen als Vorwegnahme der vollendeten Welt“ in den Blick kommen. Was das dialektische Verhältnis von Religion und Politik angehe, bestehe eine Zukunftsaufgabe darin, eine Art „differenzierten Konsens“ anzustreben. Für eine sachgerechte Rezeption der Eschatologie Ratzingers forderte Wiedenhofer, polemische Aussagen nicht zu isolieren oder zu verabsolutieren, sondern in ihrem Kontext zu lesen und an die von einer großen Weite gekennzeichnete Gesamttheologie Ratzingers rückzubinden.

 

Die Besucher des Symposions erlebten eine perspektivenreiche Tagung, die einen Eindruck von der Größe der Theologie Joseph Ratzingers und deren „innovatorisch-prophetischem Potenzial“ (Thomas Marschler) vermittelte. Wie anregend das Werk des emeritierten Papstes ist, zeigte sich nicht zuletzt in dem lebhaften Austausch unter den Referenten und Tagungsteilnehmern.

 

Die in Erfurt gehaltenen Referate werden in einem Band der vom „Institut Papst Benedikt XVI.“ herausgegebenen Reihe „Ratzinger-Studien“ erscheinen.