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Kunst

Quellangabe: Laudatio auf Christine Stadler anlässlich der Verleihung des Oberbayerischen Kulturpreises 1989, in: MIPB 3 (2010) 33–38, hier 33.


Der moderne Streit um die Kunst ist in seinem Kern ein Streit um das Verständnis des Menschen und der Welt – darum, wer wir selber sind und was es um die Welt ist, in der wir leben. Die Kunst ist entstanden, weil die Menschen in den Dingen der Natur das Durchscheinen und Aufscheinen einer größeren Wirklichkeit gespürt haben. Genauer gesagt: Die Kunst ist entstanden durch ein Sehen, das mehr sieht als die physikalische Analyse wahrnehmen kann. Sie ist Produkt einer Einheit von Sinn und Geist, die sich nicht in intellektuelle Reflexion und sinnliche Gestaltung zerlegen lässt; sie ist vielmehr Ausdruck jener urtümlichen Einheit des Menschen, kraft deren der Geist sinnlich und die Sinne geistig sind. So erscheint im Sinnlichen das, was mehr als sinnlich, als materiell vordergründig da ist. Insofern kommt in der Kunst das eigentliche Wesen des Menschen zur Geltung, denn sein Wesen ist gerade die sinnliche Geistigkeit und die geistige Sinnlichkeit. Wenn die archaische Kunst Tiere oder Menschen als Götter darstellt, geschieht genau dies: Das Schauen des Künstlers zeigt auch dem Anderen die Transparenz des Seins, das Durchscheinen und Aufscheinen des Göttlichen, die Immanenz der Transzendenz. Der Sinn zeigt sich den Sinnen und erhellt so den Geist. Kunst ist Öffnen der Sinne und des Sinns; daher ist sie in ihrem Ursprung mit Kult verbunden und so dem rechten Leben selbst zugewandt.





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