Gnosis als Gegenentwurf zum Christlichen
Quellangabe: Konsequenzen des Schöpfungsglaubens, in: Im Anfang schuf Gott, Freiburg 1996, 77–94, hier 91 f.
Bei allen Variationen, die die geistige Landschaft der Gegenwart so undurchdringlich machen, scheinen mir nämlich in der Tat letztlich doch nur zwei Grundmodelle zur Debatte zu stehen, von denen ich das eine das Gnostische, das andere das Christliche nennen möchte.
Als gemeinsamen Kern der Gnosis in allen Verschiedenheiten ihrer konkreten Darstellungen sehe ich dabei die Absage an die Schöpfung an. Dieser Kern wirkt sich dann anthropologisch noch einmal gemeinsam in den verschiedenen gnostischen Modellen darin aus, dass in ihnen das Mysterium des Leidens, der Stellvertretung, der Liebe abgelehnt wird zugunsten einer Welt- und Lebensbeherrschung durch Wissen. Die Liebe erscheint sozusagen als zu unsicher, als dass man das Leben und die Welt darauf gründen könnte: Man ist ja damit in der Tat auf das Unberechenbare und Unerzwingbare angewiesen; auf das, was man sicher nicht selber machen, sondern eben nur erwarten und empfangen kann. Das Erwartete aber könnte ausbleiben. Es macht mich fortwährend abhängig, es erscheint fortwährend als ein Faktor des Risikos und der Unsicherheit, über den ich nicht verfüge. Ich kann betrogen sein und bin dann ganz ohnmächtig dagegen. So wird aus der schönen Verheißung der Liebe das unerträgliche Gefühl der Abhängigkeit, der Ausgeliefertheit. Diese muss beseitigt werden: Man darf von vornherein gar nicht darauf setzen, sondern nur auf das Verfügbare, auf das Wissen, das Macht über die Welt gibt und das als überschaubares System der Unberechenbarkeit entzogen ist. Im gnostischen Weltbild, antik oder modern, erscheint Schöpfung als Abhängigkeit, Gott als Grund von Abhängigkeit. Dies ist geradezu das Wesen Gottes, seine Definition und der Grund, warum Gnosis in Sachen Gott nicht neutral sein kann, sondern kämpferisch antitheistisch sein muss. Die gnostische Option zielt daher auf Wissen und auf Machen durch Wissen als die einzig zuverlässige Erlösung des Menschen, die sich deshalb auch nicht der geschaffenen Welt vertraut, sondern der zu erschaffenden, die kein Vertrauen mehr braucht, sondern nur Können. [Im Vergleich dazu das Christliche, siehe: Wesen des Christentums]
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