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Glauben - Eröffnung von Wirklichkeit

Quellangabe: Glauben und Wissen, in: Glaube und Zukunft, München 1970, 13–35, hier 30 f.


Der Mensch, der sich auf das exakt Wissbare beschränken will, gerät in die Krise der Wirklichkeit, gerät gerade so in den Entzug der Wahrheit. Es gibt den Schrei nach dem Glauben in ihm, den unsere Weltenstunde nicht aufhebt, sondern nur noch dramatischer werden lässt. Es gibt den Ruf nach Befreiung aus dem Kerker des Positiven, freilich auch den Ruf nach Befreiung von einer Gestalt des Glaubens, die ihn selbst zur Last statt zur Form der Freiheit werden lässt.

Damit aber sind wir endlich an der Stelle angelangt, an der die Frage möglich wird: Wie müsste eigentlich solcher Glaube beschaffen sein? Darauf ist zuerst zu sagen: Glaube ist nicht eine verminderte Form von Naturwissenschaft, eine antike oder mittelalterliche Vorstufe, die entschwinden muss, wenn das Eigentliche kommt, sondern etwas von Wesen anderes. Er ist nicht ein vorläufiges Wissen; in diesem Sinn gebrauchen wir das Wort Glauben freilich im Deutschen auch, wenn wir sagen: Ich glaube, es war so. Dann bedeutet glauben so viel wie meinen. Wenn wir aber sagen: Ich glaube dir, dann gewinnt das Wort einen völlig anderen Sinn. Dann heißt es so viel wie: Ich traue dir, ich vertraue dir, vielleicht sogar: Ich baue auf dich. Das Du, dem ich mich anvertraue, gibt mir eine Gewissheit, die anders, aber nicht weniger fest ist als die Gewissheit, die aus Berechnung und Experiment kommt. So aber ist das Wort im Zusammenhang des christlichen Credo gemeint.

Die Grundform christlichen Glaubens lautet nicht: ich glaube etwas, sondern: ich glaube Dir. Glaube ist eine Eröffnung der Wirklichkeit, die nur dem Vertrauenden, dem Liebenden, dem als Mensch Handelnden zukommt und als solche nicht abkünftig von Wissen, sondern ursprünglich wie dieses, ja tragender und zentraler für das eigentlich Menschliche als dieses.





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