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Die Mitteilungen 2022 (MIPB 15) sind erschienen


Eröffnet wird das diesjährige Jahrbuch des Instituts mit bisher nur schwer zugänglichen Texten von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. Darunter auch eine Erstveröffentlichung einer in München gehaltenen Predigt aus dem Jahr 1975 und die Grußbotschaft zu einem Internationalen Kongress in den USA, der 2022 an der Franciscan University in Steubenville stattgefunden hat. Im Rahmen der Erschließung der Biografie finden sich unter der Rubrik „Diskussion“ Erinnerungen von vier Schülern an ihren akademischen Lehrer sowie eine Analyse der Tübinger Zeit im kulturellen Umbruch der 1960/1970er Jahre.

 

Textauszüge: I. Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.

 

Joseph Ratzinger, „Dem Ruf antwortet die Nachfolge“. Predigt beim 40-jährigen Priesterjubiläum von Pfarrer Johann Oberbauer, 10. Sonntag im Jahreskreis, München, 8. Juni 1975

 

[...] Danken heißt immer auch: sich besinnen; aufwachen aus der Gedankenlosigkeit des Alltags und innewerden, was uns trägt. Die beiden Lesungen von heute lassen im Zusammenklang von Altem und Neuem Testament sichtbar werden, welches der Dienst ist, für den wir heute danken. Das Evangelium erklärt ihn in einer Skizze von unübertrefflicher Knappheit von dem Weg der Berufung her, der in ihn hineinführt. Am Anfang steht Folgendes: Jesus sieht diesen Menschen, den Matthäus, oder, wie Lukas noch anschaulicher sagt: Er beobachtet ihn, er schaut ihm zu. Der Blick des Herrn liegt auf uns und dringt durch unser Tun hindurch ins Herz. Aus solchem Zuschauen heraus ergeht der Ruf: Folge mir! Auch das Neue Testament weiß, dass dieser Ruf auf sehr vielfältige Weise geschehen kann. Er kann den Menschen direkt ins Herz treffen. Er kann indes auch auf sehr menschliche Weise zu ihm kommen: Der Bruder sagt es dem Bruder weiter (wie Andreas dem Simon, der Petrus wurde); der Landsmann dem Landsmann (wie Philippus dem Natanaël), der Freund dem Freund. Aber durch solches menschliches Erfahren und Reden hindurch steht der Getroffene schließlich vor dem Ruf des Herrn selbst, vor seiner Frage. Denn um ein ganzes Leben mit all seiner Hoffnung und seiner Last zu tragen, reicht keine menschliche Rede aus: Nur er selber kann es, die Gewissheit, dass Er mich will. Dem Ruf antwortet die Nachfolge. Hier erhebt sich ein Einwand: Ist sie, so wie sie hier im Evangelium geschildert wird, nicht zu mechanisch? Kann man so einfach aufstehen und alles liegen- und stehenlassen? Ist dafür nicht zu groß, was im Spiele steht? Aber es geht gar nicht um ein besinnungsloses Weglaufen. Matthäus hat sein Geschäft abgeschlossen und zuletzt sogar als öffentlichen Schlussstrich ein Mahl, oder wie Lukas sagt einen großen Empfang, für Jesus gegeben. Gemeint ist in der Unbedingtheit der Nachfolge etwas anderes: Wo der Herr ruft, gibt es kein Rechnen und Feilschen. Da gibt es keine Vorbehalte: wenn es mir gefällt; zur Probe einmal … Da gibt es nur die Entschiedenheit des Endgültigen, des Ganzen, des Neuen. Es gibt Dinge, die man auf Zeit tut, bis sich anderes findet: Schuhputzer, Zeitungsträger, Liftboy. Aber eine große Liebe, ein großer Auftrag ist seinem Wesen nach unteilbar. Nur ein ganzes Leben, nur die Ganzheit des Menschen reicht dafür hin. Das Wort des Herrn ist von dieser Größenordnung. Darum fordert es den Menschen ganz. Darum hat es die Kraft, ein ganzes Leben zu tragen und darum ist auch nur ein ganzes Leben die ihm gemäße Antwort. Was in der Berufungsgeschichte des Matthäus erzählt wird, das wird im priesterlichen Dienst gegenwärtig gehalten. Er weist einfach durch sein Existieren darauf hin, dass es dies gibt: Der Herr sieht uns an, beobachtet uns, so dass sein Blick in unsere Seele dringt. Es gibt einen Ruf, mit dem er nach uns fragt; es gibt sein Wort mit dieser Kraft, ein ganzes Leben zu erfüllen, durch alle Unberechenbarkeiten und Unwägbarkeiten hindurch.[...] MIPB 15, 15 f.

 

Papst em. Benedikt XVI, Das Zweite Vatikanische Konzil: Nicht nur sinnvoll, sondern notwendig. Brief an den Präsidenten der Franciscan University in Steubenville (Ohio), Rom, 7. Oktober 2022

 

[...] Als ich im Januar 1946 mit dem Studium der Theologie begann, dachte niemand an ein Ökumenisches Konzil. Als Papst Johannes XXIII. es zur allgemeinen Überraschung ankündigte, war der Zweifel groß, ob es sinnvoll, ja, ob es überhaupt möglich sein werde, die Einsichten und Fragen im Ganzen einer konziliaren Aussage zu ordnen und damit der Kirche eine Wegweisung für ihren weiteren Weg zu geben. Tatsächlich hat sich ein neues Konzil als nicht nur sinnvoll, sondern als notwendig erwiesen. Die Frage nach einer Theologie der Religionen hat sich erstmals in ihrer Radikalität gezeigt. Ebenso die Beziehung des Glaubens zur Welt der bloßen Vernunft. Beide Themen waren vorher nicht so vorgesehen. So erklärt es sich auch, dass das II. Vaticanum zunächst die Kirche mehr zu verunsichern und zu erschüttern drohte, als ihr eine neue Klarheit für ihren Auftrag zu schenken. Inzwischen zeigt sich allmählich die Notwendigkeit, die Frage vom Wesen und Auftrag der Kirche neu zu formulieren. So kommt auch die positive Kraft des Konzils langsam zum Vorschein. [...] MIPB 15, 25.

 

 

Verlag Schnell und Steiner:

 

ISBN 978-3-7954-3795-4     24,95 € 

 

Inhaltsverzeichnis und Vorwort